Leserbrief: Was zählt in einer Gesellschaft?

Die Revision der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz will für die breite Berufsgruppe von Treuhändern, Revisoren und Berater eine 63 Stunden-Woche legalisieren. Dies war das Ziel der parlamentarischen Initiative von Ständerat (die Mitte) und Mitinhaber einer Revisionsfirma: Konrad Graber.

Ich will transparent sein: Ich arbeite selber als Revisorin. Ich bin aber auch in der Lokalpolitik in Zug aktiv und spiele Badminton. Das kann ich nur alles unter einen Hut bringen, weil ich mir selber eine persönliche maximale Anzahl Arbeitsstunden definiert habe, die ich in der Woche nie überschreite. Ich bin eine der wenigen, die frech genug sind, das einfach knallhart selber durchzuziehen. Wenig erstaunlich liegt mein Maximalwert weit unter den von Herr Graber geforderten 63 Stunden. Nur dank dieser Grenze kann ich ein gesundes Privatleben führen und als Revisorin arbeiten.

Es stellt sich schon die Frage: Was ist denn wichtig im Leben? Das sind doch stabile und resiliente Familien, Freundschaften und Beziehungen. Das gibt es nicht einfach so. Das braucht alles Zeit und das muss man pflegen. Es ist auch ein unermesslicher Wert für die Gesellschaft, wenn jemand zum Beispiel Junioren trainiert, alte Menschen unterstützt oder mit dem Musikverein ein Dorffest organisiert. Auch das braucht Zeit. Vereine, Freiwilligenarbeit und Milizpolitik sind urschweizerische Konzepte. Wir sollten diese nicht untergraben, sondern stärken. Diese Werte sind ein standhafter Pfeiler in einer Welt, die immer schneller dreht und in der man sich dadurch wie in einer Zentrifuge weiter voneinander entfernt, entfremdet und polarisiert.

Ich sehe daher die Wirtschaft klar in der Pflicht, die vielen schlauen Mitarbeiter auch freizugeben, dass sie sich in ihrer Freizeit entfalten können. Es versteht sich von sich selbst, dass dies mit einer 63 Stunden-Woche nicht möglich ist. Im Hinblick auf die «Generation Z» ist das dringlicher denn je: Es braucht einen Wandel in der Branche. Statt die aktuelle Praxis von unmenschlichen Arbeitsstunden zu legalisieren, sollten wir diese begrenzen und reduzieren. Sonst ist ein chronischer Fachkräftemangel vorprogrammiert.